“Es fehlte etwas, das man nicht sehen, sondern nur spüren kann!”

Ein Spitzenspiel, null Zuschauer. Wieviel Fußballerlebnis ist drin in einem Pandemie-Spiel? Gotthilf hat’s getestet!

Fußball – das fühlt sich für viele von uns an, wie ein Erlebnis aus einer längst vergangenen Zeit. Unsere Nasen lechzen nach dem Duft frisch gegrillter Bratwürste, unsere Kehlen nach frisch gezapftem Stadionbier, unsere Ohren nach scheppernden Fangesängen und unsere Augen nach Tribünen, Choreos und grasbewachsenen Stehstufen. Doch fernab dessen, was den gemeinen Hopper antreibt, wird in den Stadien von Liga 1 bis teilweise in Liga 4 gespielt. Der Ball rollt, auch ohne die eingangs erwähnten Reize. Wie fühlt sich Fußball eigentlich an ohne all dies? Gotthilf hat sich auf eine Reise begeben, in einen Fußball, wie wir ihn alle nicht wollen, wie er aber für viele Vereine in dieser Zeit überlebenswichtig zu sein scheint: Ohne Zuschauer. Wieviel Fußballerlebnis steckt eigentlich noch in diesem Fußball, der gerade gespielt wird? Bei seinen Nachbarn vom FSV Frankfurt hat Gotthilf nach Antworten gesucht. 

Mittwochabend, Regionalliga. Der traditionsreiche FSV Frankfurt lädt zum Spitzenspiel gegen den SC Freiburg II an den Bornheimer Hang. Es geht um den Aufstiegsplatz zur dritten Liga. So weit, so normal. Eingeladen sind aber nur der Gastverein, die Schiedsrichter und eine handverlesene Anzahl an Funktionären, Mitarbeitern, Pressevertretern und Scouts. 

Wie oft hat Gotthilf von seinem Balkon aus in den vergangenen Wochen das Flutlicht „am Hang“ angehen sehen? Wie oft hat er sich gedacht: Wie wäre es wohl, jetzt im Stadion zu sein und ein Spiel zu sehen, bei dem es lediglich um das Geschehen auf dem Rasen geht. Und drumherum einfach nichts ist, außer ein gähnendes Nichts. Im redlichen Besitz eines Presseausweises musste er es einfach herausfinden. Und so orderte er sich eine Akkreditierung für das Spitzenspiel der Regionalliga Südwest. 

Unvoreingenommen rangehen, das heißt: Gedanken auf 0, alles so machen, wie immer, wenn es an den Bornheimer Hang geht. Die Stadionklamotten anziehen, Jacke, Schuhe. Das Ganze meistens eine Stunde vor Anpfiff. Einmal auf den Balkon gehen, um dabei zu sein, wenn das Flutlicht angeht und die ersten Durchsagen durch die Stadion-Lautsprecher dröhnen. Mit dem Aufzug runter und dann die zehn Minuten zu Fuß zum Stadion. Bis zum Parkplatz vor der Eissporthalle ist eigentlich alles wie immer. Denn der FSV ist seit dem Abstieg aus der 2. und 3. Liga kein wirklicher Publikumsmagnet mehr. Auch wenn Bornheim als Stadtteil weiter treu hinter dem FSV steht. Dass man auf dem Weg zum Stadion ist, hat man ohnehin erst auf den letzten paar hundert Metern gemerkt. So ist es auch diesmal. Und weil es so ähnlich ist, wie im Normalzustand, fühlt es sich für Gotthilf auch bis dahin an, wie ein ganz normaler Stadiongang. Vor allem, weil die Flutlichter wie sonst auch üblich hell über dem Bornheimer Hang strahlen. 

Die ersten als Fußballfan erkennbaren Menschen trifft Gotthilf dann meist ab der schmalen Teerstraße neben der Eissporthalle. Hier ist es diesmal menschenleer und das ist dann eben der erste erkennbare Unterschied zur vorpandemischen Situation. In der Ferne sieht man schon die zwei Ordnungskräfte in dicken, dunkelblauen Jacken stehen. Das müssen sie sein, die Hüter über die Einlass-Erlaubnisse. Zielsicher steuert Gotthilf auf die beiden sehr gechillten und lässig da stehenden Ordner zu. Schnell die FFP2-Maske über Mund und Nase, denn das dauerhafte Tragen des inzwischen zum Alltag gewordenen Infektionsschutzgerätes war vom FSV-Pressebeauftragten zur Voraussetzung für die Teilnahme am Spiel deklariert worden. Und dann heißt es ein freundliches „Guuude!“ in die Maske zu schmettern. „Habedurst mein Name, es müsste eine Akkreditierung für mich hinterlegt sein.“ Nach kurzer Durchsicht der gar nicht mal so wenigen Briefumschläge ist es dann auch gefunden. Das Couvert, das Gotthilf zu seinem ersten Fußballspiel nach 19 Wochen Corona-Lockdown führt. 

Es fühlt sich schon erstmal wie eine kleine Erlösung an, die Tore zu einem Stadionareal zu durchschreiten. Von den Tribünen schallt schon dumpf die Musik des Rahmenprogramms. Noch 30 Minuten Bistum Anpfiff. Um zu seinem Platz zu gelangen, muss Gotthilf einmal hinter der kompletten Haupttribüne entlang. Jeder Schritt lassen Neugierde und Vorfreude auf das Anstehende steigen. Einmal um die Ecke biegen, zwischen den Tribünen hindurch und schon steht Gotthilf bei offenen Zäunen direkt auf dem strahlend grünen Rasen. Zumindest mit einem halben Fuß. Denn die Tore zum Spielfeld sind offen, so kann Gotthilf zumindest mal für ein paar ganz intensive Sekunden die erste Stadionluft schnuppern. Es riecht nach Rasen, ganz viel Rasen. Welch herrlicher Duft. 

Gotthilf lenkt seinen Blick einmal durch das ganze Stadion. Die dunklen Ränge auf der Gegengeraden wirken gespenstisch. Niemand da. Das Echo der Gute-Laune-Mukke aus den Lautsprechern schallt ungebrochen auf den Platz zurück. Hinauf also auf die Tribüne, Lage checken.  

Im Block D sitzt genau ein weiterer Mensch. Ob Pressevertreter oder Scout, schwer zu sagen. Aber um die Lage einmal ganz im Blick zu haben, streunt Gotthilf einmal die Tribüne entlang und muss zur Überraschung feststellen, dass in einigen der Logen Betrieb herrscht. Zwar mit Maske und mit Abstand. Aber Betrieb. Auf den Presseplätzen im Mittelteil der Tribüne sind zwei Kamerateams und eine Reihe davor die beiden Kommentatoren des Fan-TV-Sender positioniert. Dahinter auf den Sitzplätzen oben sitzt eine kleine Schar von Scouts, allen voran Bundesliga-Legende Olaf Marschall, der inzwischen für seinen alten Verein 1. FC Kaiserslautern junge Talente sichtet. Bei aller Bewunderung für seine fußballerischen Leistungen, seine Masken-Disziplin lässt auf eine Verwandtschaft mit Kalle Rummenigge schließen. Oder vielleicht auf eine schmerzhafte Inkompatibilität von Maske und Nasenpflaster? Vielleicht ist er aber auch erst kurz vor dem Spiel von seinem Arbeitgeber getestet worden und fühlt sich sicher. Wer weiß das schon in diesen Zeiten?

Um zu einem möglichst originalen Stadionerlebnis zu kommen, braucht es für Gotthilf jedenfalls auch Verpflegung. Und auch die gibt es im Stadion. Es handelt sich dabei um die klassische Presseverpflegung in Form einer großen Schüssel Currywurst. Da Gotthilf eigentlich mit nichts gerechnet hatte, ist er positiv überrascht. Aus dem Kühlschrank darf sich Habedurst ein gut gekühltes Pils aus dem Hause Pfungstädter nehmen, bis ihn ein freundlicher Vereinsfunktionär freundlich darauf hinweist, dass es auch frisch Gezapftes gibt. Also dann: Auf die nette Nachbarschaft!

Um zu einem möglichst originalen Stadionerlebnis zu kommen, braucht es für Gotthilf jedenfalls auch Verpflegung. Und auch die gibt es im Stadion. Es handelt sich dabei um die klassische Presseverpflegung in Form einer großen Schüssel Currywurst. Da Gotthilf eigentlich mit nichts gerechnet hatte, ist er positiv überrascht. Aus dem Kühlschrank darf sich Habedurst ein gut gekühltes Pils aus dem Hause Pfungstädter nehmen, bis ihn ein freundlicher Vereinsfunktionär freundlich darauf hinweist, dass es auch frisch Gezapftes gibt. Also dann: Auf die nette Nachbarschaft!

Aber es ist nicht das gleiche. Nicht das gleiche, wie an den Tagen, an denen Gotthilf mit Freunden „mal eben“ rüber zum Hang ging, um den FSV zu sehen. Normalerweise ist es dann Usus, dass man reihum zum Bierstand pendelt, um die Freunde mit Flüßiggold zu versorgen. Stattdessen wird man nun von offizieller Seite darauf hingewiesen, dass man sich gerne auch frisch gezapftes Pils im Glas mit an den Platz nehmen kann. Gotthilf kann sich nicht erinnern, jemals im Stadion ein Bierglas in der Hand gehabt zu haben. Auf Sportplätzen ja, aber in einem richtigen Fußballstadion? Schon etwas unwirklich, aber unter diesen Umständen sehr freundlich. 

Dann beginnt das Spiel. Wohlgenährt und fußballhungrig verfolgt Gotthilf den Anstoß. Der schrille Pfiff aus des Schiedsrichters Pfeife ist ein inzwischen so ungewohntes Geräusch, dass Habedurst kurz zusammenzuckt. Er sitzt auf seinem zugewiesenen Platz in Block D, oben auf der Haupttribüne, etwas links versetzt von der Mittellinie. Ein schöner Platz, um Fußball zu verfolgen. Aber spätestens hier fällt nun auf, was fehlt. Die Stimmung, singende Fans, schwenkende Fahnen. Stattdessen erstmal Stille. Jedes Wort hört man auf dem Feld, besonders die Kommandos vom Freiburger Torhüter, der mit wenig sonorem Organ fortwährend Sachen brüllt, wie „mach ihn fest!“, „nur stellen“ oder „schieben, schieben!“ 

Der FSV macht in der ersten Halbzeit Druck. Und geht durch Dominik Nothnagel in der 33. Minuten folgerichtig in Führung. Gotthilf freut dies, denn es ist immer schön, wenn es den Nachbarn gut geht und mal ehrlich: Drittligaspiele unmittelbar vor der Haustür, das wäre schon was feines. Auch in der zweiten Halbzeit drückt der FSV erstmal ordentlich auf die Tube, hätte direkt nach Wiederanpfiff mit 2:0 in Führung gehen müssen. Fortan unterstützen die Anwesenden im Stadion den FSV bei jeder Aktion in der Nähe des gegnerischen Strafraums. Bei Ecken ertönt das wie immer übliche rhythmische Klatschen, bei Torschüssen das „FSV! FSV! FSV!“. Unter dem Tribünendach schallt es in der zweiten Hälfte nicht viel weniger laut, als bei Spielen vor Corona. Die Vereinsmitarbeiter rund um den hemdsärmeligen und supportfreudigen Präsidenten Michael Görner tun viel, um ihre Elf im Spitzenspiel an die Leistungsgrenze zu bringen. Es ergibt sich ein Anfangsverdacht von Stadionstimmung. 

Das hilft aber erstmal nichts. Denn wie durch Zauberhand kippt das Spiel. Der Spitzenreiter aus Freiburg dreht die Partie innerhalb von zehn Minuten. SCF-Trainer Christian Preußer ist nun so elektrisiert vom Spiel, dass er wie in aufgedrehter Duracellhase an der Seitenlinie agiert, sich auch hier und da mal über die inzwischen ruppige Gangart auf dem Feld echauffiert. Gotthilf – stets um das Wohl seiner Mitmenschen bemüht – hat zwischendurch das Bedürfnis, die leeren Ränge hinunterzurennen, um Preußers Blutdruck zu messen. Die Führung indes können seine Spieler nicht halten, weil sich nach einer etwas übersichtlichen Situation FSV-Wunderstürmer Arif Güclü sich den Ball schnappt und in der 86. Minuten aus spitzem Winkel den Ausgleich für den FSV besorgt. Zur Freude der allermeisten Tribünenbesucher (Gotthilf schätzt sie auf etwa 50 bis 60). Und auch ein klein wenig zu Gotthilfs Freude, denn so bleiben die Nachbarn dran, am Aufstiegsplatz 1. 

Abpfiff, 2:2, Spannungsabfall. Noch ein paar Minuten verharrt Gotthilf auf seinem Platz, bis sich die Tribüne langsam leert. Das war es also, das erste Fußballspiel nach 19 Wochen. Habedurst muss das ganze erstmal sacken lassen. Als er noch einmal einen Fuß aufs inzwischen menschenleere Spielfeld setzt, geht auf einmal das Flutlicht aus. Der bis dahin strahlend grüne Rasen, mit einem Mal stockefinster. Und so geht es für Habedurst zurück, die zehn Minuten zu Fuß zurück nach Hause. 

Wie fand es Gotthilf nun, dieses ungewöhnliche Fußballerlebnis? Auf der einen Seite war es ein gutes, intensives Fußballspiel. Aber auch nichts außergewöhnliches. Die Anfeuerung von der Haupttribüne hatte leicht etwas von Normalzustand. Die Spieler auf dem Platz gingen konzentriert zu Werke, machten nicht den Anschein, als ob sie von den leeren Rängen allzu viel mitbekämen. Insofern ist der eine, sportliche Teil eines Fußballerlebnisses schon ganz gut abgedeckt.

Aber da ist ja noch der andere Teil. Und da muss Gotthilf wenig überraschend konstatieren: Es fehlte etwas Bedeutendes. Es fehlten vor allem Freunde, mit denen man das Stadionerlebnis teilt. Es fehlten aber auch die Fans. Es fehlte die zahlenmäßig überschaubare, aber immer engagierte und kreative Fanszene des FSV. Es fehlten die meckernden und mitunter pöbelfreudigen Fans auf der Gegengeraden. Es fehlte die Bratwurst im Brötchen, wenngleich sie am Bornheimer Hang weißgott nicht zu den besten im deutschen Fußball zählt. Es fehlte das Drumherum, die Atmosphäre mit Menschen, die einfach Lust haben auf den Fußball, auf ihr „Bernem“ und den Verein. Die schon vor dem Stadion zu spüren geben, dass es gleich los geht und der FSV das ist, worum sich die Welt in den nächsten mindestens 105 Minuten drehen wird. Es fehlte das, was man nicht sehen kann, sondern nur spüren. 

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