Auestadion Suhl, 1. Suhler SV 06 – RSV Fortuna Kaltennordheim 3:0, 17.10.2020
🗓 88/2020
🏟 509
👨👩👧👦 65
⚽️ Landesklasse Thüringen Staffel 3
MOTOR SUHL – Ein Gespräch mit Oberliga-Torjäger Henry Lesser
Die BSG Motor Suhl war das One-Hit-Wonder der DDR-Fußballgeschichte. Man könnte auch sagen: Das Tasmania Berlin des Ostens. Nur eine Saison durften die Kicker aus dem Thüringer Wald in der obersten Spielklasse mitmischen. Mit krachendem Misserfolg. „Wir hatten zwar einen tollen Zusammenhalt im Team, aber die Bedingungen haben einfach nicht gestimmt. Krafteinheiten haben wir auf dem Flur im Vereinsheim gemacht“, erinnert sich Suhls Oberliga-Rekordtorjäger Henry Lesser.
Nur ein Sieg gegen die BSG Wismut Aue und drei weitere Unentschieden bedeuteten den Abstieg nach nur einer Saison. Henry Lesser war mit vier Toren bester Suhler Torschütze und empfahl sich für höhere Weihen bei Carl Zeiss Jena und der DDR-Nationalmannschaft. Im Interview, das Gotthilf mit Lesser für das Zeitspiel-Magazin und “Drübergehalten – Der Ostfußballpodcast” führte, erinnert er sich an das Oberligajahr mit der BSG Motor Suhl:
Wie kam es dann zu deinem Engagement in Suhl?
In meiner Armeezeit hatte ich im Fußball Fuß gefasst. Als der Dienst dann rum war, hatte ich zwei Angebote. Einmal von Motor Suhl, die gerade frisch in die Oberliga aufgestiegen waren. Und vom Zweitligisten Kali Werra Tiefenort. Beides Vereine aus meinem Heimatbezirk. Und mit den Suhlern hatte ich mich dann zu Gesprächen getroffen. Da wurden wir uns dann relativ schnell einig. Ich bin aber erst am dritten Spieltag dazugestoßen. Und ich hatte Glück, dass ich in meinem ersten Spiel dort schon gut gespielt habe. Trotz einer 2:3-Niederlage gegen Stahl Riesa. Aber von da an ging mein Fußballweg dann steil nach oben. Da war viel Glück dabei.
Womit konnte Suhl denn locken?
Mit ner Wohnung und auch finanziell haben wir uns geeinigt. Und wichtig war, dass ich das mit meinem Sportstudium in Leipzig kombinieren konnte.
Nun ist Motor Suhl ja als erfolgloseste Mannschaft in die Geschichte der DDR-Oberliga eingegangen. Wurde der Verein staatlich benachteiligt, weil das mit dem Fußball im Bezirk Suhl nicht so hoch angesehen war? Immerhin einen ähnlichen Fall hatte es ja mit Motor Steinach gegeben. Ebenfalls ein Verein aus dem Suhler Bezirk, der nach Aktenlage von oben benachteiligt wurde.
Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Aber man muss schon sagen, dass die Voraussetzungen in Suhl für die Oberliga überhaupt nicht gegeben waren. Wenn man alleine gesehen hat, wie wir trainiert haben. Dass wir das Krafttraining im Kabinengang machen mussten, dass wir mangels Platz nicht immer in Suhl trainieren konnten, sondern mit dem Bus nach Meiningen fahren mussten. Daran sieht man schon, dass die Bedingungen nicht vergleichbar waren, die ich dann nachher in Jena erlebt habe. Dort wurde alles für den Fußball getan. Das waren Top-Bedingungen.
War Motor Suhl von Beginn an zum Abstieg verdammt?
Ich glaube schon. Unter den Bedingungen war die Oberliga einfach nicht zu stemmen. Es hätte schon ne Riesen-Euphorie entstehen müssen, aber die ist von Beginn an nicht aufgekommen, weil schon die ersten Spiele nicht so liefen und wir uns dann sehr schwer getan haben.
Lag es auch an der Kader-Qualität?
Da hat es auch einfach nicht gereicht. Es war schwierig. Wir hatten zwar viele ältere Spieler mit viel Erfahrung. Aber am Ende hat das Potenzial nicht gereicht. Sonst holt man auch nicht so wenige Punkte.
Wie war so der Teamgeist? Ich kann mir vorstellen, dass es um die Moral in der Mannschaft irgendwann auch nicht mehr so gut bestellt war, wenn man jedes Wochenende auf die Mütze bekommt …
Der Teamgeist war trotz der Misserfolge sehr gut. Wir haben immer zusammengehalten, viel Spaß gehabt und auch gut trainiert. Wir waren immer motiviert, weil die Oberligaspiele für uns alle was besonderes waren. Für mich sowieso. Und von daher war das schon in Ordnung.
Wie muss man sich die Spielweise des Teams vorstellen?
Wir mussten uns natürlich an unserer spielerischen Begrenztheit orientieren. Die anderen Teams waren auch viel fitter. Du kannst das auch nicht in kurzer Zeit aufholen. Unter den Bedingungen hätten wir nicht mehr erreichen können. Vielleicht noch den einen oder anderen Punkt mehr, aber das war’s.
Gibt es ein Ereignis aus dieser Saison, an das du dich ein Leben lang erinnern wirst?
Das erste Spiel war natürlich besonders für mich. Als ich das erste Mal vor einer tollen Kulisse in der Oberliga aufgelaufen bin. Das war schön, obwohl wir mit einem Tor Unterschied verloren haben. Es war ohnehin sehr schade, dass wir viele Spiele nur mit einem Tor Unterschied verloren haben. Da hat dann oft das Glück gefehlt. Wir haben uns nie so wirklich abschlachten lassen, sondern haben schon gekämpft. Man kann der Mannschaft von damals keinen Vorwurf machen.
Du hast die Atmosphäre in Suhl schon angesprochen. Wie standen die Stadt und die Menschen hinter der Mannschaft?
Das war eine ganz interessante Situation. Da war direkt neben dem Stadion ein Wohnblock. Von dort aus haben immer einige Menschen die Spiele verfolgt. Das ist mit ner normalen Spielstätte gar nicht zu vergleichen. Aber am muss sagen, dass die Fans in Suhl uns schon gut unterstützt haben, weil es auch für sie etwas Besonderes war, dass wir in der Oberliga gespielt haben.
Gibt es heute noch Kontakt zu den Weggefährten von damals?
Nicht wirklich. Weil ich auch durch den Weggang nach Jena und jetzt nach Fulda kaum noch Zeit habe. Es ist halt schwierig, wenn du arbeitest und nebenbei noch Fußball machst. Da bleibt nicht mehr viel Zeit. Und dann habe ich eben oft solche Ehemaligen-Treffen abgesagt, weil ich das mit vier Mal Training und Fulltime-Job nicht hinbekommen habe.
Wie bewertest du denn im Nachhinein das Oberliga-Jahr mit Motor Suhl?
Das war ein Riesen-Erlebnis für alle Beteiligten damals. Und für mich war es ein tolles Sprungbrett. Ich hatte danach sechs, sieben Angebote aus der ersten Liga. Das hätte ich auch nie gedacht. Und von daher war das für mich ein Riesen-Glücksgriff, dass Suhl damals aufgestiegen ist und ich dabei sein konnte.
Die BSG Motor Suhl war die Betriebssportgemeinschaft des VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“. Aus diesem Hause stammte unter anderem das berühmte Zweirad Simson „Schwalbe“. Aber auch diverse Jagdwaffen der Kalaschnikow-Bauart wurden dort gefertigt. So hat die Stadt den etwas gewöhnungsbedürftigen Beinamen „Waffenstadt“.
Für den Fußball brachten die Suhler zu DDR-Zeiten schon eine gewisse Leidenschaft mit. Im Auestadion in Suhl versammelten sich zu besten Tagen bis zu 18.000 Zuschauer. Von den großen Suhler Fußball-Festtagen zeugen heute noch die vielen Wimpel, Zeitungsausschnitte und Pokale im Kabinengang des Vereinshauses.
Vor der Wende prägte ein riesiger, grauer DDR-Plattenbau hinter der Haupttribüne die Stadionkulisse. Von dort aus filmte das DDR-Fernsehen auch die Spiele von Motor Suhl, da im Stadion zu wenig Platz war. Der mächtige Plattenbau ist längst abgerissen. Die einstige Bezirkshauptstadt Suhl ist von rund 58.000 (1989) Einwohnern um erdrutschartige 40 Prozent geschrumpft. Heute zählt die Stadt gerade mal noch 34.000 Bewohner. Dabei liegt Suhl so schön eingebettet in den Thüringer Wald. Leider zählt die Region aber zu den strukturschwachen der Republik.
Dem Fußball in der Stadt tut das wenig Abbruch. Immerhin halten sich die Suhler in der siebtklassigen Landesklasse Thüringen. Auch das Engagement rund ums Spiel und die Außendarstellung in den sozialen Medien findet Gotthilf mehr als vorzeigbar. Auf vorhergehende Nachrichten, ob das Spiel gegen Kaltennordheim auch wirklich im Auestadion stattfindet, kam immer prompt eine Antwort. Auch am Rahmenprogramm hat Gotthilf Gefallen gefunden. Ein sympathischer Stadionsprecher mit einer guten Musikauswahl. So lief zum Einlauf der Mannschaften die Titelmelodie der Comicserie „Kickers“. Und die Stadionwurst war – wie Gotthilf es in Thüringen gewohnt ist – überirdisch gut. Der Verein hätte aber mehr Zuschauer verdient. Nur 65 haben sich zum Duell mit Kaltennordheim im weiten Rund des Auestadions niedergelassen. Da geht noch mehr, Suhl! Am Stadion kann der mäßige Zuschauerzuspruch jedenfalls nicht liegen. Das ist eine nostalgiegeladene und gerade deshalb wunderschöne Anlage mit Erinnerungspotenzial. Alleine die überragende Anzeigetafel und der Sprecherturm sind die Anreise wert. Man kann sich noch lebhaft vorstellen, wie damals Henry Lesser und die anderen Suhler hier die großen DDR-Vereine wie Dynamo Dresden, Carl Zeiss Jena oder Lok Leipzig empfangen haben. Das müssen – trotz anhaltender Misserfolge – Fußballfeste gewesen sein in Suhl.
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