Zu Gast bei: SV Tasmania Berlin – Empor Berlin // Endstand: 2:1 // Werner-Seelenbinder-Sportpark // Berlin-Liga // 20.11.2016
Wenn der Hamburger SV mal wieder grottenschlecht in die Saison startet, dann freuen sie sich im Berliner Hipsterbezirk Neukölln. Denn dann werden sie wieder rausgekramt: Die Vergleiche mit der schlechtesten Bundesligamannschaft aller Zeiten, Tasmania Berlin. Die Tasmanen sind seitdem der Inbegriff der Niederlage. Vor allem der HSV hält in den letzten Jahren die Erinnerung an das legendäre Tasmania-Team aus der Saison 1965/66 am Leben. In den Folgejahren hat sich der Verein finanziell komplett übernommen. 1973 dann der Bankrott. Das haben einige Eltern, deren Kinder in der Jugendabteilung spielten, schon einige Wochen früher kommen sehen und den SV Tasmania Berlin gegründet. Der Verein sieht sich selbst als Nachfolger und pflegt die Traditionen des SC Tasmania 1900. Da muss ich hin, habe ich mir gedacht. An einem Sonntag im November 2016 war es dann so weit. Ich konnte das lang gehegte Vorhaben in die Tat umsetzen. An einem grauen, kalten aber trockenen Nachmittag habe ich den Weg in den Werner-Seelenbinder-Sportpark angetreten. Die Tasmanen sind heute in der Berlinliga (6. Liga) zuhause. Beim Spiel haben sich etwa 100 Menschen auf den Tribünen des kleinen Stadions niedergelassen. Darunter auch eine kleine Fangruppe, die Tasmanischen Teufel. Die Jungs haben mich mit ihren Fahnen und vor allem den kreativen Gesängen beeindruckt. Nach dem Spiel haben sie mich zu Bier und Bratwurst eingeladen. Hagen Nickelé hat an diesem Tag den Job des Stadionsprechers übernommen. Den Job hat er inmitten seiner Fangruppe ausgeführt, die Ansagen kamen also direkt von der Tribüne. Mit ihm habe ich mich nach dem Spiel unterhalten:
Wie wird man Fan von Tasmania Berlin?
Ich bin vor über 20 Jahren zugereist. Bin nach Berlin gezogen und habe nach nem Verein gesucht. Und die Hertha war mir irgendwie nicht so sympathisch, Union war zu weit draußen. Und es sollte auch eher was Unterklassiges sein. Und mein Bruder, der auch schon in Berlin wohnte, der sagte dann: „Lass uns mal nach Neukölln zu Tasmania gehen!“ Und dann sind wir hingegangen und ich war sofort begeistert, vor allem von dem geilen, kleinen Stadion. Und diese Begeisterung hat mich dann nicht mehr losgelassen.
Was sind das für Menschen, die hier zu Tasmania kommen?
Da sind viele ältere Leute dabei, die noch von früher dabei sind. Wir haben aber auch ein paar neue Leute. Seit ein paar Jahren haben wir da auch ne Fangruppe. Das sind viele Jüngere und so Leute wie ich, so Mitte 40. Es sind viele Rentner, viele Leute aus dem kleinbürgerlichen Umfeld, aber auch einige Gutverdiener. Spieler von früher verlieren sich nur ganz selten mal hierhin. Aber die, die noch leben, machen ab und zu ein eigenes Veteranentreffen. Insgesamt kommen hier ungefähr 100 Zuschauer im Schnitt. Es wäre aber schon schön, wenn das mal mehr werden, weil wir auch viel Werbung machen hier in Neukölln. Wir sind ja auch ein Hipster-Bezirk geworden. Die Leute versuchen wir halt auch zu erwischen und für Tasmania zu begeistern.
Mit welchen Argumenten versucht ihr diese Leute denn für den Verein zu gewinnen?
Das ist natürlich schon dieser Kult rund um die Bundesligasaison und dieser Stempel „Schlechteste Bundesligamannschaft aller Zeiten“. Diese Marke für die Ewigkeit, auch wenn der HSV da im Moment dran rüttelt. Und das trägt man hier so mit sich und das trägt man auch mit Stolz. Und das Umfeld macht das Ganze auch sympathisch. Es ist so ein bisschen, wie so’n Dorfverein. Man ist nah dran am Geschehen. Man kennt schnell alle Leute hier, kommt auch mit den Spielern ins Gespräch. Und man kann sich schnell einbringen und dann auch richtig austoben. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Das hat schon was.
Diese Marke „Erfolglosester Verein der Bundesligageschichte“ – Welche Rolle spiel die bei euch heute noch?
Ne große. Das macht diesen Verein schon aus. Das merkt man daran, dass Verlieren hier keine Schande ist. Da können dann Alle auch drüber lachen und grinsen. Andere finden das wahrscheinlich total beknackt. Aber ich finde: Das macht das Ganze sympathisch. Das passt dann eben auch zu den Leuten hier und deswegen ist Alles auch sehr entspannt. Wir pflegen den Kult und wir leben den. Viele von damals sind ja auch noch dabei und können da auch drüber lachen.
Aber auch wenn verlieren erlaubt ist. Ihr habt doch trotzdem sportliche Ziele, oder?
Das ist so ein bisschen das Problem. Von der Berlin-Liga in die Oberliga aufzusteigen, das ist schon ein ganz schön großer Schritt. Da wird Alles teuerer. Hier in der Berlin-Liga haben wir halt kurze Wege und müssen keine großen Stadionauflagen erfüllen. In der Oberliga fängt das schon an. Das heißt: Viele haben gar kein so großes Interesse daran aufzusteigen. Wir sind zwar in der Berlin-Liga oben mit dabei und haben auch sicher das sportliche Potenzial für die Oberliga. Aber man hat dann manchmal den Eindruck, dass am Ende dann nicht immer Alles gegeben wird, weil man sagt: Ach komm, bleiben wir lieber in Berlin und reisen nicht nach Wismar oder so. Kostet halt Alles Geld. Auf der anderen Seite ist der Wunsch aufzusteigen immer noch da. Wir haben ja nach dem Crash in den Siebzigern ganz unten wieder angefangen. Haben uns dann hochgearbeitet. Sportlich läuft das ja auch seit Jahren ganz gut bei uns. Wir haben den Aufstieg ja auch mehrmals knapp verpasst, das passt dann zum Erfolglos-Kult. Selbst als mal zwei Teams aufsteigen durften, sind wir nur Dritter geworden, wegen des schlechteren Torverhältnisses. Da haben sich Alle nur angeguckt und gegrinst. Nach dem Motto: Typisch Tasmania.
Typisch ist ein gutes Stichwort: Wie läuft denn so ein typischer Spieltag ab, bei euch Tasmania-Fans?
Wir kommen immer relativ knapp vor Spielbeginn hierher. Manche müssen noch auspennen von der Nacht vorher. Wenn vorher ein wichtiges Spiel von der Zweiten ist, dann schafft man es auch dahin. Dann lassen wir meistens erstmal den Spieltag in den höheren Spielklassen Revue passieren. Es gibt viele Leute, die noch einen Verein in den ersten beiden Ligen haben, die man dann so ein bisschen aufziehen kann. Eben in der letzten Spielminute haben sich auch noch ein paar Leute über Angelzeug unterhalten. Sowas gibt’s halt auch. Für nen Schnack haben wir auch immer Zeit.
Wer erfindet denn eure kreativen Fangesänge?
Die entwickeln sich entweder spontan. Oder es kommt dann einer aus unserer Fangruppe und sagt: Ich hab mir da mal was überlegt. Lass uns das mal ausprobieren. Es kommen viele Ideen dann zu Popsongs. Es entwickelt sich dann oft abseits von den klassischen Fußballgesängen. Ansonsten haben wir ja so ein Standard-Repertoire, wie zum Beispiel das „Ra-ra-ra, Tasmania!“ Das ist noch von ganz früher und gehört schon zu den Klassikern. Das haben unsere älteren Herrschaften noch mitgebracht. Und wir sind jetzt dabei, noch mehr auszuprobieren. Wir müssten eigentlich mal ne Chorprobe machen. Deshalb schmieren manchmal neue Gesänge so ein bisschen ab, weil es noch nicht so sitzt.
Kann man sagen: Ihr seid eine richtige Tasmania-Familie?
Kann man schon sagen. Wir als Fangruppe gehören inzwischen auch zur großen Vereinsfamilie dazu. Der Verein hat gemerkt: Die machen was für Tasmania. Und die sind keine Eintagsfliege. Und so hat uns der Club dann auch in den Arm genommen.
Und wie zufrieden seid ihr als Familie mit eurer Behausung, also dem Stadion?
Ich persönlich finde es total kultig, weil’s halt eben den alten Charme hat. Es hat keine Laufbahn und an den Längsseiten richtige Tribünen zum Sitzen und Stehen. Es ist alles ein bisschen abgeranzt, die Tore sind vergilbt. Da müsste man eigentlich mal was dran machen. Aber wenn es nach mir geht, kann das auch so bleiben, weil es einfach diesen Charme hat.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Vereins und eurer Fangruppe?
Es gibt große Wünsche, aber auch viele kleine. Unser Stadion ist zum Beispiel so ein bisschen versteckt. Wir müssen zur Straße hin besser sichtbar sein. Es gibt auch hier im Bezirk viele Leute, die gar nicht wissen, dass es den Verein gibt. Einfach. weil sie ihn im Vorbeigehen nicht sehen. Da bräuchten wir mal so ein Schild. Aber da macht das Amt Probleme. Dann bräuchten wir mal ein eigenes Vereinsheim. Das gibt es nämlich nicht. Stadion und Räumlichkeiten gehören dem Bezirk. Wir haben keinen Raum, in den man sich mal reinsetzen und ein Bier trinken kann.
LINKS:
Website des SV Tasmania Berlin
Berlinsport-Aktuell, die Seite von Hagen Nickelé mit Aktuellem aus dem Berliner Amateursport
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