Zu Gast beim Rheydter Spielverein
Der Wind raschelt am Laub der Bäume, die Gräser wogen sanft hin und her. Auf der Tribüne dreht ein Mitarbeiter der Stadt seine Runden mit dem Rasenmäher. Die Stehränge sind so mit Gras bewachsen, dass man den Beton darunter schon kaum noch erkennt. All das könnte auch die Beschreibung für ein Dorfidyll sein. Ist es aber nicht. Es beschreibt das Jahnstadion in Rheydt. Ein großes, enges Fußballstadion, das sich die Natur im Laufe der letzten Jahre in weiten Teilen zurückerobert hat. Dass sich an diesem Ort einst tausende von Menschen versammelt haben, um den Rheydter Spielverein anzufeuern: Man kann es noch erahnen. Einst wogten hier nicht die Gräser hin und her, sondern die Massen.
„Das Stadion strahlt noch den Geist der 50er Jahre aus!“, berichtet Dirk Staubesand. Er kümmert sich heute um die Öffentlichkeitsarbeit und das Archiv des Rheydter SV. So ist Staubesand Herr über die Bilder aus dieser wohl erfolgreichsten Zeit des RSV. Ebenjenen 50ern. Vor dem geistigen Auge sieht man noch Männer mit Pepitahut vor den holzvertäfelten Eingangskassen am Jahnstadion stehen. Mit Abrissmarken in der einen und dem Glas Bier in der anderen Hand. In dieser Zeit war der RSV schwer angesagt. Denn der „Spö“, wie die Fans ihren Verein liebevoll nennen, hatte sich nach dem Krieg schnell bis in die Oberliga West hochgearbeitet. Insgesamt drei Jahre hat der RSV erstklassigen Fußball ins Rheydter Jahnstadion geholt. Prominentester Akteur war wohl damals schon der junge Trainer Hennes Weisweiler.
Das Jahnstadion ist allerdings schon älter. Im Jahre 1922 wurde es eröffnet und bot zu Beginn Platz für rund 40.000 Menschen.
Die 40.000 sind wohl nie gekommen. Aber doch recht voll wurde es wieder ab den 80er Jahren. Der Spö kehrte 1987 nach mehrjährigem Auf und Ab zwischen Landes- und Verbandsliga zurück auf die überregionale Fußballbühne. Der RSV stieg überraschend in die drittklassige Amateur-Oberliga auf. Die Gegner klangen wieder nach großem Fußball. Zu Gast waren in den Oberligajahren so Publikumsmagneten, wie der Wuppertaler SV, Rot Weiß Essen oder Alemannia Aachen. Rheydt kam wieder ins Stadion. „Bei den großen Spielen waren es wohl so 15 bis 20.000“, erinnert sich Dirk Staubesand. „Da war hier richtig Rabatz.“ Staubesand hat die Spiele als Jugendlicher miterlebt und erinnert sich gerne an die Fußballfeste im Jahnstadion. Die Menschen aus Rheydt standen hinter ihrem „Spö“
Doch die DNA des Rheydters hat einen Makel. Im Jahre 1975 wurde die Stadt im Rahmen der kommunalen Neugliederung mit Mönchengladbach vereint. „Die beiden Städte waren ähnlich groß, Rheydt war sogar die etwas wohlhabendere von beiden.“, berichtet Staubesand. Es entbrannte eine politische Diskussion, wie denn die durch die Fusion entstandene Stadt heißen soll. „Das führte sogar zu so verrückten Überlegungen, dass man aus Rheydt und Mönchengladbach = Rheybach macht!“, erinnert sich Staubesand an die Diskussionen von damals. Es war auch die Zeit, in der Borussia Mönchengladbach als Fohlen-Elf für internationale Schlagzeilen sorgte. „Das war wohl auch ein Grund dafür, dass die Fusion von Rheydt und Mönchengladbach zugunsten Mönchengladbachs ausging!“, glaubt Dirk Staubesand. „Ich hatte damals einen Lehrer, der auch im Stadtrat saß. Der berichtete uns von den Diskussionen. Und er meinte, dass die Strahlkraft der Borussia ein Argument dafür war, dass das Städtekonstrukt am Ende Mönchengladbach heißen soll. Eine Stadt mit gleichnamigem, erstklassigen Fußballverein lässt sich wohl besser vermarkten.“ In Rheydt war man mit dieser Entscheidung alles andere als einverstanden. Aber es hilft nichts. Rheydt ist heute ein Stadtteil von Mönchengladbach.
Dem Rheydter Fußball ging es aber auch bis 2002 noch vergleichsweise gut. In der Oberliga konnte der „Spö“ teilweise sogar um den Aufstieg in die zweite Bundesliga mitspielen. Einer der Knackpunkte war dann aber das Jahr 2000. Der große Gönner des Vereins Kurt Kahle kam mit seiner Familie beim Concorde-Absturz in Paris ums Leben. Und mit seinem Ableben endete auch die finanzielle Unterstützung. Was folgten waren Abstiege und 2002 der Insolvenzantrag. Tiefpunkt war 2015 der bittere Gang in die Kreisliga A. Diesen „Betriebsunfall“ hat der RSV jetzt erstmal repariert. Der „Spö“ ist wieder in die Bezirksliga aufgestiegen. Die Blicke sind nach vorne gerichtet.
Die Bezirksligagegner werden sich freuen, dass der RSV wieder da ist. Wann hat man als Amateurfußballer schon mal die Möglichkeit, in einem solch großen und traditionsreichen Stadion zu spielen. „Für unsere Gegner ist das wohl das Spiel des Jahres. Die geben hier immer alle 110 Prozent. Das ist vielleicht so ein bisschen der Nachteil für uns. Aber wir finden das natürlich trotzdem klasse hier“, gibt Spielertrainer Rene Schnitzler zu Verstehen. Der frühere Profi (u.a. St. Pauli) hat zwar schon viele große Arenen gesehen, „trotzdem: Wenn ich hier ins Jahnstadion reinkomme, durch den lange Spielertunnel, am besten bei Flutlicht, dann bin ich schon alleine deshalb bis in die Haarspitzen motiviert. Und so geht es meinen Jungs auch.“ Schnitzler und seine Spieler fühlen sich sichtlich wohl in dem eigentlich überdimensionierten Stadion.
Und dass es im Jahnstadion nach Bundesliga riecht, liegt nicht nur an der Tradition, sondern auch an der Gegenwart. „Wir haben die Kabinen renoviert. Die sind richtig schick. Und unsere Spieler bekommen ihr Trikot und ihre Klamotten gewaschen und vor jedem Spiel fein säuberlich gefaltet auf ihren Platz gelegt. Diesen Luxus gibt’s ja sonst eigentlich nur für Profis.“, berichtet Schnitzler. Nötig sei das Alles zwar nicht, „aber wir mussten uns was einfallen lassen, um den ein oder anderen Spieler mit Qualität wieder hierher nach Rheydt zu locken. Und ganz ehrlich: Die ein oder andere Mama ist froh, wenn der Sohn nicht dauernd mit den dreckigen Klamotten nach Hause kommt“
Ob das Jahnstadion in seiner jetzigen Gestalt auch eine Zukunft hat, ist fraglich. Es ist natürlich mit jeder Menge Arbeit verbunden, die Riesenanlage in Schuss zu halten. Die Stadt Mönchengladbach als Eigentümer ist dafür zuständig. Ehrenamtliche vom RSV helfen auch immer mal wieder mit kleinen Ausbesserungsarbeiten. Aber sie alle arbeiten wohl gegen Windmühlen in dem alten Gemäuer. Daher soll das Stadion nach jüngsten Plänen Teil eines modernen Sportparks werden. Dazu wird wohl die Gegengerade platt gemacht. Und so entstünde eine ebenerdige Verbindung zum Nebenplatz. Auf einem Teil des freiwerdenden Platzes der Gegengerade soll ein modernes Funktionsgebäude hochgezogen werden. Allein es ist noch nicht klar, wann diese Pläne verwirklicht werden. Leichtes Aufatmen für Groundhopper: Die Entwürfe sehen einen Erhalt der Haupttribüne und der Vortribüne vor.
Zurück aus der Zukunft: Der RSV hat sich aus dem Morast der Kreisliga befreit. Das soll nicht das Ende der Fahnenstange sein. Mit den Ex-Profis Renè Schnitzler und Lawrence Aidoo hat der Spö ambitionierte sportliche Macher am Ruder, die sicher nicht dauerhaft „nur“ Bezirksliga spielen wollen. Das gewaltige Stadion hätte jedenfalls mal wieder mehr Besucher verdient. Es wirkt halt doch ein bisschen leer, wenn nur die Gräser auf den Rängen wogen und nicht die Menschen.
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