Willofs – Jossastadion


Willofs – ein bisschen Gallien im Vogelsberg

Dörfer haben es schwer in unseren Tagen. Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, gerade junge Menschen suchen ihre beruflichen Chancen dort, wo es berufliche Chancen gibt. Auf dem Land gibt es hingegen Leerstand, vielerorts schließen gar die letzten Dorfkneipen, die Flamme des sozialen Leben erlischt. Im kleinen Willofs ist das anders und das liegt nicht zuletzt am Fußballverein. Dies ist die Geschichte einer fulminanten Wiederauferstehung. 

Nach Willofs kommt man nicht zufällig. Das Dorf liegt auf einer sogenannten Buntsandstein-Hochfläche, rundherum eingerahmt von Wald und Bergen. So hat Willofs nicht mal einen direkten Nachbarort. Knapp 400 Menschen leben in dem kleinen Ort, dessen Bild geprägt ist von Scheunen und Holzverschlägen. In der Mitte plätschert gemütlich ein kleiner Bach, die Jossa. Und an dieser Jossa ist er eben zu Hause, der SV Willofs 1970, der in diesem Jahr zurückgekehrt ist auf die Fußball-Landkarte.

Aber von vorne. Der SV Willofs entstand 1970 und entwickelte sich zum Pendler zwischen den Kreisligen. Interessant wurde es immer, wenn es gegen die anderen Vereine aus dem Schlitzerland ging. Da schon zeigte sich, dass die Willofser ein fußballverrücktes Volk sind. Sie bevölkerten ihren Fußballplatz, nahmen Platz auf ihrer wunderschönen Holztribüne, und versammelten sich rund um ihren leicht abschüssigen Platz. Der höchste Punkt des Spielfeldes liegt übrigens rund zwei Meter höher als der niedrigste.

Im Jahr 1996 ereilte den SV Willofs das Schicksal, mit dem auch heute noch viele Fußballvereine im ländlichen Raum zu kämpfen haben. Dem Verein kamen die Spieler abhanden. Es ist sowieso beachtlich, dass ein Dorf mit nur 400 Einwohnern noch eine eigene Fußball-Mannschaft stemmen konnte. Aber 1996 war es dann eben vorbei mit dem Fußball in Willofs. Der SV musste schweren Herzens seine Herren-Mannschaft abmelden. Willofs verschwand von der Landkarte des hessischen Fußballs.

Ein Lauftreff und eine Theken-Fußballmannschaft hielten den Verein am Leben. Dennoch: Das schmucke, beschauliche Jossastadion verwilderte zusehends. Der Rasen glich einer wilden Wiese mit allerleich Gesträuch. Die Tribüne wurde von Moos und Patina erobert. Die Anlage wäre allenfalls noch etwas für Freunde von Lost Places gewesen, der morbide Charme des Verlassenen umhüllte das idyllische Fußballfeld.

Nun schreiben wir das Jahr 2018. In vielen Dörfern werden Fußball-Mannschaften abgemeldet, Orte schließen sich zu Spielgemeinschaften zusammen, um überhaupt noch den Spielbetrieb stemmen zu können. Der vielbesagte demographische Wandel treibt sein Unwesen gerade in den Provinzen. Doch da machen wir nicht mit, dachten sie sich in Willofs.

Anfang 2018. Der SV Willofs macht ernst. Das Vogelsbergdorf wird zum gallischen Dorf, leistet dem Bevölkerungsschwund im ländlichen Raum Widerstand. Der SV Willofs will zurück in den Spielbetrieb, mit aller Macht. Die verbliebenen Hobbyfußballer haben sich Verstärkung geholt. Einige Männer sind über die Heirat mit den Damen des Dorfes nach Willofs gekommen. Dazu kommen noch vereinzelt Spieler aus umliegenden Dörfern. Auf der Jahreshauptversammlung des Vereins im Februar 2018 wurde klar. Das kann was werden mit der Rückkehr. Der Entschluss zum Comeback entsteht.

Doch es ist ein weiter Weg, ein steiniger Weg, vom Entschluss bis zum ersten Pflichtspiel. Mit dem Kreis-Fußballverband müssen die Rahmenbedingungen abgesteckt werden. Man braucht Sponsoren, um den Spielbetrieb stemmen zu können. Und vor allem muss das Jossastadion vom Wucher befreit werden.

Doch Willofs packt an. Das ganze Dorf will das Comeback. Der örtliche Bauunternehmer hilft, die Sportanlage wieder bespielbar zu machen. Der Rasen wird gestutzt, die Tribüne vom Moos befreit. „Wir mussten sogar zwei neue Drainagen legen, um das Feld zu entwässern“, berichtet Thomas Lorenz, Vorsitzender des Vereins und gleichzeitig Spieler. Mit dem örtlichen Anbieter von Helikopter-Rundflügen findet der SVW einen Hauptsponsor. Das ganze Dorf packt an, um das große Ziel „Comeback 2018“ wahr zu machen.

Und nun, in der Saison 2018/19 ist es so weit. Der SV Willofs ist wieder da. In der Kreisliga C Hünfeld/Schlitz. Das Jossatstadion erstrahlt in neuem Glanze. Das Dorf ist verrückt nach Fußball. Ein jeder und eine jede trägt mit stolz das blau-weiße T-Shirt „Comeback 2018“. Ganz Willofs steht hinter dem SV.

Beim ersten Schlitzerland-Derby seit mehr als 22 Jahren gegen den TSV Pfordt II versammeln sich an die 400 Zuschauer im Jossastadion. In der Luft liegt der urige Duft von Bratwurst und Grillkohle. Im Vereinsheim läuft der Zapfhahn mit dem regionalen Bier aus dem Schlitzerland auf Hochtouren. Auch, wenn das Spiel schnell in Richtung des eingespielten Gegners kippt, die Willofser feuern ihre elf tollkühnen Männer an, peitschen sie mit Wechselgesängen nach vorne, um wenigstens noch ein Tor zu sehen. Das will zwar nicht fallen, doch das tut der Stimmung keinen Abbruch. Die Willofser feiern trotzdem ihre Jungs, die dem Sonntagnachmittag im Ort wieder einen sportlichen Sinn geben. Außenstehende müssen sich die Augen und Ohren reiben, zu erstaunlich ist das, was dieser kleine Ort auf und neben dem Fußballplatz auf die Beine stellt.

Außerdem ist man sportlich voll im Soll. „Wir wollen einen einstelligen Tabellenplatz erreichen“, sagt der Vorsitzende Thomas Lorenz. Angesichts der Tatsache, dass die Willofser in einer 9er Liga spielen ein ironisches Ziel. Ganz klar: Der Spaß an der Sache soll hier im Vordergrund stehen. Trotzdem, die ersten beiden Ligaspiele konnte die neu zusammengewürfelte Truppe sogar gewinnen. Ein Euphorieschub für das ohnehin schon verrückte Fußballdorf.

Willofs, das ist eine eingeschworene Gemeinschaft, das ist ein begeisterungsfähiges Dorf, das sind positiv verrückte und aufgeschlossene Menschen. Willofs das ist Fußball in Reinform. Willofs, das ist der entschlossene Aufstand gegen irgendeine Form der Ödnis des Landlebens. Willofs, das ist ein gallisches Dorf mitten im hessischen Vogelsberg.

Die Video-Highlights zum Spiel SV Willofs 1970 gegen den TSV Pfordt II gibt es hier.

Das Interview mit dem Vereinsvorsitzenden des SV Willofs 1970, Thomas Lorenz:

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert